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SPD Eppendorf und Hoheluft-Ost zur notwendigen Umsetzung des Beschlusses des
Koalitionsausschusses von SPD und CDU/CSU vom 8. März 2020 zur Aufnahme von geflüchteten
Kindern und weiteren besonders schutzbedürftigen Menschen aus den Flüchtlingslagern auf den
griechischen Inseln
Corona-Pandemie steigert die Dringlichkeit zur schnellen Evakuierung von Menschen aus den
Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln
1. Eine schrittweise aber zügige Evakuierung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln ist
als humanitäre Maßnahme in gesamteuropäischer Verantwortung nicht nur geboten,
sondern als gesundheitspolitische Maßnahme zur nachhaltigen Eindämmung und
Bekämpfung der Ausbreitung der Krankheit Covid-19 in Europa schlicht notwendig. Im
Mittelpunkt der Evakuierungsmaßnahmen muss zunächst das Flüchtlingslager Moria auf
Lesbos stehen, in dem Zustände herrschen, die unter keinem Gesichtspunkt auch nur im
Ansatz mit der derzeit überall aktiv betriebenen Gesundheitspolitik zur Eindämmung der
Krankheit Covid-19 vereinbar sind. Die Verantwortung für eine erfolgreiche und zügige
Evakuierung trägt nicht Griechenland allein, sondern tragen die Europäische Union und jeder
ihrer Mitgliedstaaten gemeinsam.
2. Am 8. März 2020 hat der Koalitionsausschuss auf Bundesebene zugesagt, gemeinsam mit
sieben weiteren EU-Staaten bis zu 1.400 Menschen (insbesondere unbegleitete
Minderjährige und Frauen/Familien mit Kindern) aus Lesbos aufzunehmen. Diese Zusage
muss unverzüglich in die Tat umgesetzt werde und Deutschland muss seinen Teil der Zusage
erfüllen und wenigsten 450 bis 500 der Menschen aufnehmen. Den Start der Evakuierung in
der Woche nach Ostern 2020 begrüßen wir daher sehr.
3. Darüber hinaus muss gewährleistet werden, dass in absehbarer Zeit mehr als die bisher
vorgesehenen 1.400 Menschen schrittweise aus dem Lager Moria evakuiert und
insbesondere die Kinder aber auch Familien mit Kindern und andere besonders
schutzbedürftige Menschen schnellstmöglich in annehmbare Unterkünfte auf das griechische
Festland gebracht und von dort auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.
4. Hamburg hat bereits im Januar 2020 aufgrund eines Antrags von SPD und Grünen, der von
der Bürgerschaft beschlossen wurde, wiederholt zugesagt, einen Teil der Geflüchteten
aufzunehmen. Diese Zusage wurde jüngst in einer Pressemitteilung der SPD-
Bürgerschaftsfraktion vom 7. April 2020 nochmals verstärkt; insbesondere wurde die
Bereitschaft signalisiert mehr Menschen aufzunehmen als nach dem Königsteiner Schlüssel.
Hamburg setzt vor diesem Hintergrund alles daran, dass die gefassten Beschlüsse auf
Bundeseben in die Tat umgesetzt werden und die Menschen zu uns in Sicherheit gebracht
werden.
Hintergrund
Die Corona-Pandemie ist eine Nagelprobe für die Handlungsfähigkeit der ohnehin krisengebeutelten
Europäischen Union. Insbesondere die Fähigkeit, in einer Krisensituation bislang unbekannter
Qualität solidarisch und lösungsorientiert handeln zu können und zu wollen, muss unter Beweis
gestellt werden. Das gilt für den Bereich der gemeinsamen finanzpolitischen Lösungen, das gilt für
die Abwehr rechtspopulistischer bzw. rechtsextremistischer Entwicklungen, deren Wesen die
Spaltung und Entsolidarisierung ist. Das gilt ebenso für den Bereich der europäischen
Migrationspolitik, die im Fall der Evakuierung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln auch zu
einem wichtigen Bestandteil notwendiger Gesundheitspolitik wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion griff am 6. April 2020 einen Gastbeitrag des SPD-
Bundestagsabgeordneten Achim Post in der Frankfurter Rundschau auf und forderte in der Corona-
Krise mehr europäische Solidarität ein, in dem unter anderem auch die Werte- und Rechtsordnung
verteidigt wird. Politische Lösungen in jedem der vorgenannten Bereich haben sich an europäischen
Werte- und Rechtsmaßstäben zu orientieren. Denn die Europäische Union ist nicht nur eine
Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, deren Elemente nicht
zur beliebigen politischen Disposition stehen, sondern rechtsverbindlich unser europäisches
Gemeinwesen durchdringen auf der Grundlage der Europäischen Verträge (EUV und AEUV).
Schon bevor sich die Krankheit Covid-19 in Europa ausbreitete, stand fest, dass sich die Situation für
Geflüchtete auf den griechischen Inseln und insbesondere auf Lesbos zu einer humanitären Notlage
ausgewachsen hatte, die sich verschlimmerte als die Türkei die bislang mit der EU geltende
Vereinbarung zum Umgang mit Geflüchteten faktisch einseitig aufkündigte und die Situation an der
türkisch-griechischen Grenze eskalierte in dem sie Geflüchtete aus ihrem Staatsgebiet Richtung
Griechenland schickte. Diese Eskalation hatte zur Folge, dass die griechischen Inseln und die dortigen
Flüchtlingslager wieder in den Fokus der medialen Wahrnehmung kamen, dass FRONTEX beauftragt
wurde, die europäischen Außengrenzen zu schützen statt den Geflüchteten zu helfen, dass
Griechenland das Asylrecht rechtswidrig aussetzte, dass die EU nochmals finanzielle und personelle
Unterstützung für Griechenland zusagte.
Auch diese Eskalation hatte jedoch nicht zur Folge, dass den Menschen in den Flüchtlingslagern
schnell und entschlossen tatsächlich geholfen wurde. Seit Januar 2020 hat sich die Situation in den
Lagern und insbesondere in Moria auf Lesbos verschärft auch wegen der Maßnahmen, die die
griechische Regierung zur Eindämmung von Covid-19 getroffen hat. Im medialen Fokus sind die
Geflüchteten an unseren europäischen Außengrenzen aber längst nicht mehr. Der Kampf um jedes
Menschenleben in den jeweiligen Mitgliedstaaten, die Rettung der Wirtschaft, die Leistungsfähigkeit
der jeweiligen Gesundheitssysteme gilt nun zu Recht viel Aufmerksamkeit. Aber vom Kampf um jedes
Menschenleben, von sinnvollen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid-19 sind die
Geflüchteten in den Lagern seltsam ausgenommen. Fast scheint es, dass mancher Politiker der
Annahme erliegt, dass für diese Menschen die Regeln der Infektion nicht gelten und es daher
vertretbar ist, diese Menschen auf engsten Raum unter völlig unhygienischen und der europäischen
Union unwürdigen Zuständen sich selbst zu überlassen.
Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 in Europa hatten in Deutschland zahlreiche Gemeinden,
Städte, Bundesländer, darunter auch Hamburg zuletzt durch einen von der Bürgerschaft
beschlossenen Antrag von SPD und Grünen im Januar 2020, dem Bundesinnenministerium sehr
deutlich signalisiert, dass sie bereit sind, Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen;
insbesondere die besonders schutzbedürftigen Menschen wie unbegleitet Minderjährige oder
Familien mit Kindern sollten zunächst aus diesen Lagern gebracht werden. Wichtig war dabei, dass
sich auch andere Staaten der Europäischen Union an einer Aufnahme von Geflüchteten aus den
griechischen Lagern beteiligen. Die Bundesländer sind in Deutschland darauf angewiesen, dass ein
Einvernehmen mit dem Bund hergestellt wird, um die Aufnahme zu gewährleisten (§ 23 Absatz 1
Aufenthaltsgesetz). Bislang verhalten sich der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und
weitere Politiker der Union bis heute an dieser Stelle sehr zögerlich und tragen so dazu bei, dass sich
die Notsituation auf den griechischen Inseln weiter verschärft.
Am 8. März 2020 beschloss schließlich der Koalitionsausschuss auf Bundesebene (SPD, CDU/CSU),
gemeinsam mit sieben weiteren europäischen Staaten wenigstens 1.400 Menschen aus der Gruppe
der besonders schutzbedürftigen Menschen in Moria aufzunehmen. Deutschland selbst zeigte sich
bereit, zwischen 450 und 500 Menschen aufzunehmen; Hamburg davon bis zu 150 Menschen.
Die Corona-Krise verschärft den Handlungsdruck ungemein. Jeden Tag kann es zu einem Ausbruch
der Krankheit in dem Lager Moria kommen, der eventuell eine Evakuierung unmöglich machen
würde. Die deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen wies zuletzt eindringlich darauf hin, dass der
Start der Evakuierung keinen einzigen Tag länger dauern dürfe, um eine absolute humanitäre
Katastrophe in dem Lager abzuwenden, die für die griechische Insel Lesbos, Griechenland und
schließlich Europa unvorhersehbare Folgen haben könnte.
Auch der Innenausschuss des Europäischen Parlaments und der Präsident des Europäischen
Parlaments, David Sassoli forderte mit Nachdruck, dass endlich Menschen aus den Lagern auf den
griechischen Inseln evakuiert werden. Gleiches gilt für SPD-Politiker wie die Parteivorsitzende Saskia
Esken, die Europapolitikerin Katarina Barley und den Bundestagsabgeordneten Matthias Miersch.
Auch Stimmen aus der sozialdemokratischen Landespolitik wie aus Hamburg und auch aus Berlin
haben zwischenzeitlich Horst Seehofer immer wieder mit Nachdruck dazu aufgefordert, die bereits
beschlossenen Pläne endlich auch umzusetzen. Nun scheint endlich beschlossen, dass in der Woche
nach Ostern die ersten 50 Menschen aus Lesbos nach Niedersachsen gebracht werden. Das sollte
aber nur der Anfang sein. Wenigstens 400 Menschen sollten möglichst schnell nach Deutschland
gebracht werden.
Die Kommissarin der Europäischen Kommission für Inneres, Ylva Johansson kündigte jüngst an, dass
es derzeit nochmals unternommen werde, einen verbindliche Verteilungslösung für Geflüchtete in
der gesamten Europäischen Union zu erarbeiten. Diese Bemühungen stehen auch im Lichte der
jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. April 2020, in der der EuGH
es für rechtswidrig befand, dass sich Ungarn, Polen und die Tschechische Republik im Jahr 2015
weigerten, Geflüchtete wie auch die anderen EU-Mitgliedstaaten aufzunehmen.
Dieser begrüßenswerte neuerliche europäische Ansatz darf aber nicht dazu führen, dass Staaten wie
Deutschland, die bereits Aufnahmezusagen gemacht haben, nun wieder ihre Verantwortung
delegieren, mit dem Verweis, dass erst eine europäische Einigung notwendig sei, bevor man handele.
Äußerungen von CDU-Bundestagsabgeordneten, die in eine solche Richtung weisen, müssen
Sozialdemokraten jetzt deutlich entgegentreten und einfordern, dass die bereits erteilten Zusagen
auch umgesetzt werden.
Deutschland und auch alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union können sich ihrer
Verantwortung zur Aufnahme der Geflüchteten nicht länger entziehen. Herkömmlich wird
argumentiert, dass wir schon deswegen zur Aufnahme der Geflüchteten bzw. sorgfältigen Prüfung
der gestellten Asylanträge verpflichtet sind, weil wir als Europäer eine nicht unerhebliche Mitschuld
an der Flucht der Menschen tragen. Dieses politische Argument gilt – neben jeder rechtlichen
Verpflichtung, die wir haben .- nach wie vor. Aber im Moment sollte uns auch das ureigene Interesse
des Gesundheitsschutzes geradezu dazu antreiben, die inhumane Situation in den Lagern so schnell
wie möglich aufzuheben, in dem wir mit der schrittweisen Evakuierung beginnen.
Faktisch stellt uns das vor Herausforderungen, weil beispielsweise der Gesundheitsschutz auch der
Helferinnen und Helfer (z. B. Flugpersonal, Personal in den Aufnahmeeinrichtungen), Verfügbarkeit
von medizinischem Personal und auch die Infrastruktur und Logistik gewährleistet sein müssen Auch
ein gewisses Maß an Bürokratie muss eingehalten werden.
Aber das logistische Meisterleistungen in der derzeitigen Pandemie möglich sind beweist die
Operation Luftbrücke, mit der bislang über 200.000 Deutsche aus dem Ausland durch das Auswärtige
Amt nach Deutschland aus aller Welt zurückgeflogen wurden. Dafür wurden 100 Millionen Euro
bereitgestellt, eigens Flugzeuge durch das Auswärtige Amt gechartert und bis zu 30 Flüge täglich
organisiert.
Auch Aufnahmelösungen unter Beachtung von Aspekten des Gesundheitsschutzes und einem
Mindestmaß an Bürokratie sind derzeit kein Ding der Unmöglichkeit. Das zeigt die Lösung für
Saisonarbeiter in Deutschland des Bundesinnen- und des Bundesgesundheitsministeriums, die es
ermöglicht, dass im April und im Mai jeweils bis zu 40.000 Saisonarbeiter nach Deutschland kommen
und die für uns wichtige Feldarbeit erledigen können.
Die Krankheit Covid-19 unterscheidet indes nicht nach Staatsangehörigkeit oder ökonomischer
Nützlichkeit von Menschen. Sie ist ansteckend für jeden, jeder infizierte Mensch ist ein Risiko für
andere und für zu viele ist die Krankheit tödlich.
Daher ist es wichtig, dass wir die Notwendigkeit, Flüchtlingslager wie Moria schleunigst zu räumen,
als eine gesamteuropäische Maßnahme begreifen, die sich einreiht in die Notwendigkeiten, die wir
unternehmen müssen, um Covid-19 mit Erfolg zurückzudrängen.
Griechenland darf diese Aufgabe nicht allein überlassen werden. Dass das nicht funktioniert, ist
hinlänglich und mehrfach bewiesen.
Deutschland muss jetzt die gemachten Zusagen einlösen. Dabei ist in den aufnahmebereiten
Gemeinden genau aber zügig zu prüfen, wie es beispielsweise derzeit um die Infrastruktur bestellt ist,
ob die 14tägige Quarantäne für die Geflüchteten gewährleistet werden kann, wie das Personal so
eingesetzt werden kann, dass es nicht selbst Gesundheitsgefahren ausgesetzt wird und ob
beispielsweise auch eine angemessene Betreuung von möglicherweise traumatisierten Kindern
gewährleistet werden kann.
Die Aufnahme von Geflüchteten ist unter den momentanen Bedingungen mit Sicherheit schwieriger
als sonst. Aber die Gefahren einer Nichtaufnahme, eines Nicht-Auflösens der Lager wie Moria, einer
unsolidarischen Haltung im Europäischen Verbund könnten sich als schwerwiegender erweisen, als
jetzt nicht zu handeln.