Will man auf einem kleinen Rundgang die Baugeschichte der Hamburger Vororte kennenlernen, gibt der Eppendorfer Marktplatz einen guten Einblick. Schon der Marktplatz selbst spiegelt eine Erneuerung wider, die ohne historisches Bewusstsein rücksichtslos alles Alte beiseite räumt. Nur wenige Schritte weiter begegnet man dem ersten Objekt öffentlicher Wut: eine Brache, auf der früher das Restaurant Tre Castagne und weitere Gebäude standen und deren Abriss monatelang von Protesten begleitet wurde. In kurzer Entfernung folgen Baustellen von Luxus-Neubauten, die Namen wie "Quality Street" oder "Endlich Eppendorf" tragen.
Der Name Eppendorf taucht erstmals 1140 auf. Im 14. Jahrhundert war es im Besitz des Harvestehuder Zisterzienserinnenklosters und dadurch im Herrschaftsbereich Hamburgs. Nach der Reformation gehörte es dem St. Johannes- Kloster. Dieses setzte um 1760 einen Klostervogt ein, der im Dorf für Recht und Ordnung sorgte, und wahrscheinlich 1778 sein Haus am Eppendorfer Marktplatz 11 bezog. Seit 1832 unterstand Eppendorf der Verwaltung der Hamburger Landherrenschaften, 1871 wurde es Vorort und 1894 Stadtteil.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts entstand beiderseits des Eppendorfer Marktplatzes die vorstädtische Bebauung, die man heute noch leicht an ihren üblicherweise zwei Geschossen erkennt. Erst nach 1870 erfasste die städtische Verdichtung auch Eppendorf: Die großen Hamburger Etagenhäuser setzten sich als neuer Maßstab durch. Mit vier bis fünf Geschossen und lichten Raumhöhen von 3,50 bis 3,80 Meter sind ihre Gebäude höher als die heutigen Neubauten mit den üblichen 2,50 bis 2,70 Meter Deckenhöhe. Den größten Entwicklungsschub erlebte aber Eppendorf zwischen 1890 und dem 1. Weltkrieg als sich die Bevölkerung vervierfachte bis sie im Jahr 1920 auf auf 84.000 Einwohner angewachsen war. Die Wohnungen fanden sie in den typischen Etagenhäusern, wie sie in der sogenannten Gründerzeit nach Entstehung des Deutschen Reichs 1871 gebaut wurden. Auffällig sind immer noch die Fassaden, die mit Formenzitaten aus unterschiedlichen Stilepochen von Renaissance bis Jugendstil dekoriert wurden. So finden sich rund um den Eppendorfer Marktplatz, der heute eher einem Verkehrsknotenpunkt als unserer Vorstellung von einem Markt gleicht, mindestens drei Epochen Bau- und Siedlungsgeschichte. Wir beginnen unseren Rundgang am nordöstlichen Ende Eppendorfs, im oberen Teil der Eppendorfer Landstrasse über dem Lokstedter Weg mit einem typischen Beispiel für die Bebauung vor der Gründerzeit.
Hierbei handelt es sich um ein Ensemble aus drei Stadthäusern, einem Neubau und zwei sanierten, historischen Gebäuden mit neoklassizistisch gestalteten, weiß-grau verputzten Fassaden. Um 1890 herum gebaut, verweist ihre zweigeschossige Anlage aber noch auf die dörfliche Bautradition in Eppendorf. Ihnen wurde der Neubau entsprechend stilistisch angepasst. Neubau und Sanierung wurden 2010 bis 2012 in Verbindung mit der Erikastrasse 86-88 realisiert, mit der sich das Ensemble die gleiche Parzelle teilt. Gehen wir die paar Schritte bis zur Parallelstrasse, dann überschreiten wir dabei zugleich die Epochengrenze in die Gründerzeit.
Das Etagenhaus, das zeitgleich auf der gleichen Parzelle entstand, umfasst 21 Eigentumswohnungen mit 3 Zimmern und ein Penthaus. Das Architekturbüro für beide Adressen sind Michel-Architekten BDA. Diese Adressen auf einem Grundstück zwischen Erikastrasse und Eppendorfer Landstrasse zeigen bespielhaft den Sprung in der Höhenentwicklung zwischen einer großstädtischen und einer vorstädtischen Bebauung. Während sich der Neubau Eppendorfer Landstr.145 a-c mit zwei Geschossen plus ausgebautem Dachgeschoss begnügt und damit der Höhe seiner vorstädtischen Nachbargebäude anpasst, erzielt der Neubau Erikastr. 86-88 mit der Anpassung zu beiden Seiten an Trauf- und Firsthöhen der bestehenden städtischen Etagenhäuser sechs Geschosse plus Staffel als Penthaus.Die Fassaden der Etagenhäuser aus der Gründerzeit sind überwiegend hell verputzt, ihnen passen sich die Neubauten in der Erikastrasse 86–88, 49–55 sowie 52 mit ihren weiß-grau geputzten Fassaden an. In ihnen bilden die schwarzen Profile der zum Teil bodentiefen Fenster- und Balkontürrahmen einen spannungsreichen Kontrast. Die Balkon- und Fensterbrüstungen sind entweder filigrane Gitter oder mit geätzten Glasscheiben ausgefacht.
Bleiben wir auf der Erikastrasse und wenden uns Richtung Stadtmitte, dann ist unser nächstes Ziel durch seine rote Farbe unübersehbar: Das eingeschossig bebaute Grundstück mit „Penny-Markt“. Welch eine Verschwendung, denkt sich jeder Investor und Bauherr, der so etwas sieht. Deshalb dürfte die mehrgeschossige Neubebauung auch dieses Grundstücks nicht mehr lange auf sich warten lassen. Zuletzt konnte man einen typischen Ablauf von Verdichtung auf dem Gelände des Edeka-Marktes in der Eppendorfer Landstrasse 108-110 verfolgen. Der Flachbau mit rückwärtigem Parkplatz wurde 2013 abgerissen und 2014 wurde der Supermarkt im Souterrain des neu errichteten Wohnblocks EppendorfHochDrei wieder eröffnet. Gehen wir vom knallroten Discounter weiter die Erikastrasse entlang, können wir die Reste eines Einkaufs-Boulevards besichtigen, der noch bis zur Jahrtausendwende florierte. Heute kämpfen viele Gewerbe unübersehbar mit dem Niedergang oder haben bereits aufgegeben und eine nur schwer vermietbare Leerfläche hinterlassen. Aber es gibt auch immer wieder Zeichen von Neubeginn, denn die Erikastrasse wehrt sich. Schließlich verfügt sie mit dem Café Borchers über die Stammkneipe aller Eppendorfer und eine Public-Viewing-Stätte, in der man kein Spiel des HSV oder der Deutschen Nationalmannschaft allein schauen muss.
Das vom Architekten Olszowka erbaute Ensemble liegt dem roten Discounter gleich gegenüber in der westlichen Randbebauung der Erikastrasse, die zusammen mit den südlichen Randbebauungen der Geschwister-Scholl-Strasse, der östlichen der Tarpenbekstrasse und der nördlichen der Martinistrasse einen fast quadratischen Baublock im Stadtgrundriss bildet. In seinem Blockinnenbereich liegt die um 1900 gebaute, damals sogenannte „Volks- u. Realschule Erikastraße“, die heute als Wolfgang-Borchert-Schule bekannt ist und sogar einmal einen Schüler namens Uwe Seeler hatte. Kurz nach 2000 entstanden hier 67 Eigentumswohnungen in Etagenhäusern und auf ehemaligen Gewerbeflächen im Blockinnenbereich an einer Fußwegeverbindung zwischen Erika- und Tarpenbekstrasse. Alle Fassaden, sowohl der Gebäude an der Erikastrasse als auch im Blockinnenbereich, sind weiß verputzt und stehen im Kontrast zu schwarzgerahmten Fenstern und Türen. Die Balkone zur Erikastrasse sind gegen den Straßenlärm bodentief verglast und geben zusammen mit wohlproportioniert gegliederten Gebäudeeinschnitten in den Eingangs- und Treppenhausbereichen den Fassaden Plastizität. Sie nehmen die Traufhöhen ihrer Nachbargebäude auf. Die Fassaden der Gebäude im Blockinnenbereich stehen nicht so unter Anpassungsdruck. Sie entwickeln mit ihren halbsegmentierten Tonnendächern in Verbindung mit niedrigen Fensterbändern, die sie schwebend erscheinen lassen, und mit den übrigen liegenden und stehenden Fensterformaten der unteren Geschosse einen eigenständigen Charakter.
Weiter geht unser Spaziergang zurück zum Eppendorfer Marktplatz und dann in die Heinickestrasse.
Wie auf einer Insel im Verkehrsstrom rund um den Eppendorfer Marktplatz liegt ein 2014 von den Architekten Icardi & Hack erbautes Etagenhaus, das 10 Eigentumswohnungen in 4 Geschossen und ausgebautem Dachgeschoss bietet. Das Gebäude liegt im Kernbereich des ehemaligen Dorfes und zwar im Baublock, der vom östlichen Rand des Eppendorfer Marktplatzes mit den Straßenzügen Ludolfstrasse und Heinickestrasse gebildet wird. Auch hier ist die Spannung der Sprünge in der Höhenentwicklung zwischen vorstädtischer Bebauung an der Ecke Eppendorfer Marktplatz/Heinickestrasse und der städtischen Verdichtung am südlichen Rand der Ludolfstrasse zu sehen. Und besonders reizvoll im Kontrast zum gegenüberliegenden nördlichen Straßenrand. Die Gebäudegruppe Ludolfstrasse 19 ist ein Rudiment der Wandlung Eppendorfs in einen bürgerlichen Landhausvorort im 17. Jahrhundert am Alsterfluss. Der 2-geschossige Backsteinbaustil ist wohl noch vor 1700 gebaut worden, seine korinthischen Kolossalpilaster mit Sandsteinkapitellen gehören zu den wenigen authentischen Überresten des profanen bürgerlichen Barock in der Hamburger Architektur und sind beeinflusst von niederländischen Vorbildern, schreibt der Historiker Hermann Hipp. In der weiß geputzten Fassade des Neubaus am nördlichen Straßenrand der Heinickestrasse stehen schlanke, ausgewogene Fensterformate mit schwarzen Rahmen. Die weiße Fassade ruht auf einem Sockel aus grau-schwarzem Spaltklinker. Der Hauseingang und das Treppenhaus werden in der Mitte der Fassadenabwicklung durch einen dezent vorspringenden Gebäudeteil gegliedert (sogenanntes Mittelrisalit) – ein klassizistisches Gestaltungselement des 17.-19. Jahrhunderts in heutiger Architektursprache. Das ausgebaute Dach nimmt die Höhe und Form des flachen Mansarddachs vom rechten Nachbarhaus auf. Dadurch hat sich der Neubau perfekt in die vorstädtisch-dörfliche Straßenfront integriert.
Mit dieser Einschätzung wenden wir uns von der Gebäudefront Heinickestraße 7 ab und einem gegenüberliegenden Wohn-und Geschäftshaus zu: der Heinickestraße 2-6.
Den Architekten Dinse, Feest, Zurl wurde 1995 die Aufgabe gestellt, ein seit den 60-ger Jahren bestehendes, 2-geschossiges Geschäftshaus mit einem eigenständigen Baukörper für 18 Wohnungen zu überbauen. Das verlangte eine sehr kräftige Trägerkonstruktion und für die Wohnungen einen wirksamen Lärmschutz zur verkehrsbelasteten Hauptstraße. Die Architekten fanden Lösungen mit auffälliger Architektur: Der 2½-geschossige Wohnungsneubau ruht auf mächtigen, auskragenden Querbalken aus Beton, deren Lasten über Säulen mit roten Kapitellen vor der Fassade des Altbaus abgetragen werden. Parallel zur Straße erschließen Laubengänge die nach Süden zum Blockinnenhof orientierten Wohnungen. Ihre Fassaden veranstalten ein Wechselspiel aus Glaslamellen mit Siebdruck, geschlossen Glasflächen und offenen Durchlässen. Sie mindern den Lärm erheblich. Insgesamt bindet sich dieser Gebäudekomplex aus Alt und Neu sowohl zur Straße wie zum Innenhof gut ein - eben eine mehrgeschossige städtische Architektur in einem ehemals städtischen Vorort.
Die meisten der beschriebenen Neubauten und modernisierten Altbauten liegen im Bereich der vom Bezirksamt Hamburg-Nord geplanten Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen in Eppendorf auf Grund von §172 des BauGB (Entwurf Stand 2016). Mit dieser städtebaulichen Erhaltungsverordnung soll das typische Ortsbild im historischen Kernbereich Eppendorfs mit den noch verbliebenen Fragmenten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, den Denkmälern und den Ergänzungen aus der Gründerzeit und späteren Baualters geschützt werden. Wie auf viele innerstädtische Wohngebiete wirkt auch auf den Kernbereich des ehemaligen Dorfes um den Eppendorfer Marktplatz ein starker Veränderungsdruck durch Wünsche nach Sanierungen, An- und Umbauten sowie durch Abriss- und Neubauanträge. Mit der Novellierung der Hamburgischen Bauordnung in den Jahren 2005 und 2014 können Bauanträge verfahrensfrei oder in vereinfachten Verfahren genehmigt werden. Dadurch wird der Wandel weiter beschleunigt und angeheizt. Die Festsetzungen des geltenden Planrechts sind zum Schutz der erhaltenswerten Bausubstanz nicht geeignet. Das Ziel, die besondere Eigenart des Kernbereichs in Eppendorf zu bewahren, kann nur durch die Erhaltungs-Verordnung erreicht werden, da durch sie ein Genehmigungsvorbehalt für den Abbruch, die Änderung oder Nutzungsänderung sowie für die Errichtung baulicher Anlagen begründet wird.
Unser kleiner Rundgang hat bereits reichlich Anschauungsmaterial geboten, wie man mit unser aller Lebensraum gut und weniger gut umgehen kann. Richtig und falsch gibt es dabei leider ebenso wenig wie schön und hässlich – in diesen Kategorien zu streiten bringt erfahrungsgemäß nichts. Unser Kataster des Wandels bietet noch viele Beispiele, an denen man seinen Blick und seine Argumente zum Thema Stadtentwicklung schärfen kann. Wir wünschen allen Besucherinnen und Besuchern dieser Seite spannende Einblicke und fordern Sie ausdrücklich dazu auf, Ihre Kommentare und Meinungen beim "Objektmelder" zu hinterlassen.